schleiboot

47' Classic Cruiser „Katinka“

Artikel aus "Segeln" Magazin 02/04


....als sie noch über Kopf lag.

Krokos Geliebte

Freitag nachmittags ist es immer ganz still in der alten Werfthalle von Matthias Paulsen in Arnis. Der tiefe Hobelton ist verstummt. Mit leisem Klapp ist die Werkstatttür hinter dem letzten Bootsbauer auf dem Weg ins Wochenende schon mittags ins Schloss gefallen. Es riecht nach frischgehobeltem Mahagoni und süßsaurem Teakholz. In den Strahlen der Nachmittagssonne schwebt langsam Staub zu Boden. Die Bootsbauer haben den Rumpf von Katinka noch sorgfältig abgefegt. Über Monate habe ich ihre Entstehung verfolgt. Nun liegt sie da wie eine Geliebte. Noch unverhüllt und hingegeben ohne Deck unter kathedralen Holzbögen. Wie ihr Liebhaber sie wollte, ihr Konstrukteur sie gezeichnet hat und die Bootsbauer sie aus Holz zusammenfügten. Daß Schiffe eine Seele haben offenbart sich in solchen Augenblicken der Stille. Dann wächst eine Sehnsucht nach Berührung. Mit den Händen an ihr entlangzustreichen. Mit der Kamera festzuhalten, was bald verbaut und unterm Kleid von Deck und Ausbau verborgen bleibt.

In die Vorfreude auf das Vergnügen mit ihr zu segeln, mischt sich dann das Glück der Gewissheit um ihre inneren Werte, die jetzt noch sichtbar sind. Es paßt alles zusammen wie es vor knapp einem halben Jahrhundert als harmonisch, schön und tauglich galt. Durch einen Wald von Stützen ist ihr tiefgehender Rumpf mit weinglasförmigen Spantlinien zu erkennen, die s-förmig in einem kurzen Kielansatz von gemäßigter Länge enden.

Der fast herzförmige, positiv geneigte Spiegel am Überhängenden Yachtheck und der Löffelbug, dessen ellyptische Linie mit leichtem Bogen in den Kiel Übergeht, ragt vorne und hinten Über die Stellage hinaus. Die bündig gehobelte Rumpfoberkante streckt sich mit auffälligem Sprung unter dem Hallendach wie eine Vogelschwinge.

Noch ist der Schicht-Aufbau des Rumpfes gut zu erkennen. Hinter einer Haut aus Glasfaser und Epoxy verbergen sich fünf Lagen feinstes Sipo-Mahagoni. Eine starke, horizontal laufende Außenlage und vier dünnere, kreuzweise diagonal verleimte Innenlagen. In die armdick verleimten Balkweger, die sich nach vorn und achtern verjüngen, sind die Decksbalken mit Schwalbenschwänzen eingelassen.

Zusammen mit den Schlingen für Luken und Aufbau und den Verstärkungen für Beschläge, bilden sie ein filigranes Holzwerk, daß bald ein Kleid aus Sperrholz und Teakstäben trägt. Nur noch von unten sichtbar, gliedert es später die hellen Decken und gibt eine Ahnung von der Anmut hölzerner Strukturen. Auch Überall im offenen Rumpf sind sie noch sichtbar.

Das Rückrat aus dem hohen Kielbalken, der die Hebelkräfte des tonnenschweren Bleikiels über die Kielbolzen aufnimmt und durch die kräftigen Bodenwrangen auf den Rumpf verteilt. Der mit Halbschotten verleimte Rahmenspant, der wie ein dicker Muskelstrang unterm Mastfuß durchläuft, an dem später die Püttinge verbolzt werden. Er verbirgt sich hinterm Waschtisch im Sanitärraum und teilt den Kleiderschrank im Durchgang zum Vorschiff, das zur Eignerkammer mit großer Doppelkoje führt. Eine Computerzeichnung, an die Innenseite des noch unausgebauten Salons mit Kreppband geklebt, zeigt im Seitenriß die Linien einer Yacht, wie sie Anfang der 60er Jahre gezeichnet wurden. Mit den überhängenden Enden in der Luft.

Mit geteiltem Lateralplan, halblangem Kiel und stabilisierendem Skeg vorm Ruder. Mit mäßigem Freibord und betontem Sprung. Schlicht und wohlproportioniert wie die Klassiker, die bis heute Überlebt haben und deren Anblick uns noch immer ein Gefühl von zeitloser Schönheit vermitteln. Eigner Kroko, der seinen vollständigen Namen gerne verschweigt, ist in der Klassiker-Szene eher als grober Raubauz bekannt. Nach außen harthäutig wie ein Krokodil, das auch die Spinaker seiner bisherigen Schiffe zierte, verbirgt er jedoch in seinem Innern ein feinfühliges Verständnis für Ästhetik.

In einer stillen Minute nachgefragt bekennt er: “Ich sitze gern mit meiner angetrauten Liebsten auf einem Felsen in den schwedischen Schären mit einem Glas Rotwein in der Hand und bewundere mein Schiff. Dann muß es schön sein.” Dieses Kriterium erfüllt für ihn keiner dieser modernen Cruiser-Racer, die, nach Maßstäben bedingungsloser Effektivität gebaut, oft einem Geschwindigkeitswahn huldigen, der nur mit acht Mann auf der hohen Kante eines pechschwarzen Karbonrumpfes erfüllt werden kann. Oder sie sind zu hochbordig und wie Auswandererschiffe mit Kojen zugebaut die er gar nicht braucht.

Er hat lange nach “seinem” Schiff gesucht, aber was er fand war oft zu marode und eine Totalsanierung so kostspielig, daß er sich am Ende entschloss, eine klassische Yacht neu bauen zu lassen. In Kiel bekam er Kontakt zum Konstrukteur Thomas Roeper, der nicht sich selbst verwirklichen wollte, sondern die Wünsche und Vorstellungen eines Auftraggebers umsetzen konnte. Die Aufgabenstellung war anfangs nicht genau definiert. Nur soviel stand fest. Die Neue sollte für lange Reisen etwa 10 Fuß länger werden als seine frühere “Svenholm”, die 1953 von Sparkman & Stephens gezeichnet wurde.

Außerdem seetüchtig und handig für Reisen zu zweit zu den Orkneys und den Hebriden, zu den Farörs und bis nach Island. Reviere, die einem Schiff etwas abverlangen. Aber auch schön und schnell sollte sie sein. Natürlich! Mit geringem Freibord, klassischen Proportionen und einem hohen Rigg, das ab vier Beaufort gerefft wird. Das Trimmgewicht, nicht wie heute bei den leichten Cruiser-Racern üblich, als Crew auf der hohen Kante berechnet. Sondern Stabilität durch Gewicht in Form von Tanks und Blei tief im Rumpf. Das waren die Grundparameter. Eigner und Konstrukteur wußten zwar nicht wie diese Yacht endgültig aussehen würde, waren sich aber einig was n i c h t sein sollte. Sie wollten keinen Pseudoklassiker. Keine geraden Linien. Keinen Flügelkiel, weil der Kiel zum Schiffskörper passen soll. Kein Balanceruder, kein breites Heck. Keine Verdrängungsbeulen. Dafür Abstriche bei der Höchstgeschwindigkeit auf Raumschotskursen. Die Frage war: wieviel Wasserlinienlänge sind wir bereit zu opfern, damit “Katinka” dem klassischen Ideal entspricht und wieviel Auftriebsvolumen verschenken wir unterm Heck, damit es schmal und schön wird. Das Cockpit wanderte dadurch weiter zur Schiffsmitte und achtern entstand mehr Decksfläche für einen bequemen Umgang. Konstruktiv vereinigt Roeper in diesem Holzboot unterschiedliche Konzepte. Um den Innenausbau zu erleichtern und unnötige Schmiegen zu vermeiden, ordnet er zum Beispiel die schon auf den Mallen verleimten Kimmstringer wie bei einem GFK-Boot in einer horizontalen Ebene an, statt sie, wie bei Holzbooten üblich, dem Verlauf einer Sente folgen zu lassen. In den Details aber läßt er sich von Matthias Paulsen und seinen Bootsbaukünstlern beraten und überträgt ihre werfttypischen Bauausführungen in seine Pläne.

Ein Beispiel ihrer Bootsbaukunst ist die Befestigung der Beschläge für Vor- und Achterstag, die hochglänzend mitten aus den lamellierten Steven hervorragen. Wegen leidvoller Erfahrungen des Eigners soll kein einziger Bolzen durch die Außenhaut gehen.

Darum arbeiten die Bootsbauer die Beschläge mit T-Profilen in die Steven ein, bevor sie die Blindsteven davorleimen. Diese Umsicht und Konsequenz in der Qualität, auch bei später unsichtbaren Strukturen, kann man durchaus als Inbegriff des klassischen Bootsbaus bezeichnen, wie ihn nur noch wenige Werften beherrschen. Wissen Eigner und Konstrukteur mit gleichen Vorstellungen diese Fähigkeit zu nutzen, entsteht eine Yacht mit klassischen Merkmalen, die trotz moderner Ausführung kaum von ihren Vorbildern zu unterscheiden ist. Thomas Roeper hat “Katinka” zwar völlig formelfrei, nur nach den Schönheitsidealen und Vorgaben seines Auftraggebers konstruiert. Er gibt aber zu bedenken, daß die meisten Yachten die wir als klassisch bezeichnen, nach Vermessungsformeln entstanden sind, die Überhänge geradezu züchteten.

Da die alte CCA-Formel ihren stärksten Hauptfaktor in der Länge bei vier Prozent oberhalb der Wasserlinie hatte, suchten die Konstrukteure dort “tragende” Länge einzubauen, wo diese nicht bestraft wurde. Also oberhalb dieser Vermessungsebene. Mit der Folge von lang ausgezogenen Überhängen. Was auch für die nachfolgende KR-Formel galt.

Die formellos konstruierte “Katinka”, die jedoch die ästhetischen Gene vorausgegangener Regelwerke in sich trägt, entsteht zu einem Zeitpunkt, an dem im Freundeskreis Klassische Yachten intensiv über das Thema, was denn ein Klassiker ist, wie ihn bewerten und einordnen diskutiert wird. In einem Beitrag betitelt mit “Wege einer Interpretation”, bekennt der schottische Yacht-Designer David Ryder-Turner, ein hochverehrter Gast im Freundeskreis, unter anderem: “...was wir klassisch nennen, ist Überwiegend ein Gefühl, daß durch Harmonie und Ausgewogenheit der Linien erzeugt wird...”. Und stellt am Ende als Beispiel eine eigene klassische Yawl als Cruising Yacht vor. Er mag sein Design nicht als Klassiker bezeichnen, hofft aber, “daß die Nachwelt in ihm die klassischen Vorbilder und deren Inspiration wiedererkennen wird.” Das gleiche mag für Krokos “Katinka” gelten.

Autor: Kai Greiser
Photos: YACHTBILD Kai Greiser

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